Buddhismus ist für viele Europäer eine unbekannte Größe: Immerhin eine halbe Milliarde Menschen gehören der viertgrößten Weltreligion an. Im vietnamesisch-buddhistischen Kloster Vien Duc in Untereschach bei Ravensburg kann man Buddhismus hautnah erleben.
5:45 Uhr: Vollkommene Stille. Konzentriert sitzen etwa 30 Mönche, Nonnen und Gläubige in der Dunkelheit auf ihren Kissen. Die Morgenröte ist kaum mehr als eine Ahnung. Die Flammen der Kerzen vor einem goldenen Buddha in der Andachtshalle sind lauter als der flache Atem der Meditierenden. Nachzügler treffen ein. Sie verbeugen sich dreimal, setzen sich wortlos dazu.
Das vietnamesisch-buddhistische Kloster Vien Duc in Untereschach bei Ravensburg gibt es seit etwas mehr als einem Jahr. Vien Duc, das heißt „Vollkommene Tugend“. Der Mönch Thich Hanh Tam verrichtet hier seinen Dienst. Andere Mönche und Nonnen kommen vor allem zu Veranstaltungen und Seminaren nach Oberschwaben. So wie bei der Meditationswoche für alle Interessierten.
6 Uhr: Die Roben rascheln. Die Meditierenden strecken sich. Instrumente erklingen. Nach und nach ertönen Stimmen. Sie rezitieren Sutren und Mantren, heilige Verse. Morgens, nachmittags und abends dauert es jeweils eine bis eineinhalb Stunden, bis die letzte Silbe gesprochen ist. Wie Gesang hallen die Gebete durch den Raum.
In Ravensburg gibt es eine vietnamesische Gemeinde, die das Kloster gemeinsam mit dem Mönch versorgt. Die großzügige Anlage auf 9000 Quadratmetern wird bestens gepflegt: Die Wege sind sauber, die Beete gedeihen. Zahlreiche freiwillige Helfer sorgen dafür, dass das so bleibt. Die Mönche arbeiten auch, konzentrieren sich aber vor allem auf die Meditation und das Studium der Sutren. Unterbrochen wird dieses lebenslange Studium durch Andachten.
7:45 Uhr: Im Nebengebäude bereiten zahlreiche fleißige Hände das Frühstück vor. Es gibt eine Nudelsuppe mit Tofu und Gemüse. Nguyen Hong aus Göttingen verrät: „Für die Meditation muss etwas Leichtes sein.“ Brot gibt es daher selten. Und wenn: Wurst kommt da nicht drauf, denn Buddhisten töten normalerweise keine Tiere.
Für jeden Buddhisten gelten fünf Regeln. Man soll nicht töten, nicht stehlen, nicht unkeusch sein, nicht lügen und keine Rauschmittel zu sich nehmen. Das Ziel ist der Eintritt in das Nirwana, das Entkommen aus dem Kreislauf der Wiedergeburt. Jeder sammelt Karma. Das ist eine Art Konto für gutes und schlechtes Handeln. Wer gut gehandelt hat, wessen Konto im Plus ist, kann als höhere Lebensform wiedergeboren werden. Wer ins Nirwana übergeht, wird Buddha.
8 Uhr: Das Gespräch ist lebhaft. Kinder laufen herum, während einige Helfer das Essen austeilen. Die Erwachsenen haben am Tisch Platz genommen. Einer der Mönche nimmt eine Glocke in die Hand und läutet. Es wird still. Jeder faltet die Hände und rezitiert den Vers Namo Amitabha Buddha. Tischgespräche gibt es heute nicht. Auch Essen kann Meditation sein.
Die Mönche schweigen prinzipiell beim Essen. Zuvor nehmen sie drei Löffel Reis zu sich. Beim ersten denken sie daran, unheilsame Taten vermeiden zu wollen. Beim zweiten Löffel fordern sie sich selbst dazu auf, heilsame Taten zu vollbringen. Der dritte Bissen schließlich ist mit dem Gedanken verbunden, allen Menschen helfen zu wollen. Auch bei den eigentlichen Mahlzeiten reflektieren sie immer wieder ihr eigenes Handeln.
10 Uhr: In der Küche waschen die Helfer ab. Die Kinder vergnügen sich mit den Mönchen und Nonnen auf der Schaukel. In der Novizen Robe setzt sich Kevin Linde in den Schatten. „Ich werde den Weg in das Ordinariat gehen“, erklärt der Deutsche. Im vietnamesischen Buddhismus hat er seine Heimat gefunden. Schwer sei es schon, meint er. Linde muss die Andachten auswendig lernen. Und das ist nicht leicht, wenn man kein Vietnamesisch kann. Lehrer seien kaum zu finden. Dennoch will er weitermachen.
Das Kloster Vien Duc in Untereschach ist für jeden zugänglich. Ein wichtiger Bestandteil sind Seminare, die speziell für Menschen aus westlichem Kulturkreis konzipiert sind. Gelernt werden können auch ganz einfache Dinge. Thich Hanh Gioi schmunzelt: „Viele Menschen wissen nicht, wie man Tofu schmackhaft zubereiten kann. Also zeige ich, wie das funktioniert.“
11 Uhr: Der Mönch Thich Thong Triet erzählt eine Geschichte: „Zen-Mönchen ist der Kontakt mit Frauen verboten. Ein Mönch und sein Schüler kommen auf dem Heimweg an einen Fluss. Über diesen trägt der Mönch ein Mädchen, das weinend am Wegesrand sitzt, und dessen Elternhaus sich am anderen Ufer befindet. Dort lässt der Mönch das Mädchen wieder hinunter. Sein Schüler grübelt über den Regelbruch seines Meisters nach.
Stunden später fragt er: „Meister, warum hast du das Mädchen berührt, obwohl wird das nicht dürfen?“ Erwidert der Meister: „Warum hast du das Mädchen mit nach Hause genommen? Ich habe es am Fluss zurückgelassen.“
Mit Meditationen, Andachten und Erzählungen ist der ganzer Tag gefüllt. Erst um 22 Uhr zieht nach der Abendandacht wieder Stille im Buddhisten Klosterschwaben ein. Bis um 5:45 Uhr.