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Der Buddhismus in der Beziehung zum Menschen

Vorgetragen durch Ehrwürdiger Thich Nhu Dien

Zuerst werde ich erklären, wie die Lehre des Buddha den Begriff „Mensch“ versteht und anschließend auf die Beziehung zwischen Buddhismus und Mensch eingehen.

Nach buddhistischer Auffassung ist der Mensch und alles, was ihm widerfährt, das Ergebnis der Taten, die er in früheren Existenzen beging. Das ist der Kern der Lehre von Karma und Wiedergeburt. Es ist unser Geist, der uns durch den Kreislauf des Daseins in eine gute oder schlechte menschliche oder nichtmenschliche Existenzweise führt.

Nehmen wir für einen Vergleich das Wasser. Es verdunstet aus den Flüssen, Seen und Meeren, steigt als Dampf in die Luft, kondensiert dort zu Wolken, aus denen es in die Flüsse, Seen und Meere als Regen zurückkehrt. Dieser Kreislauf existiert bereits seit Millionen von Jahren, und es wird ihn auch weiterhin viele Millionen Jahre geben. Er hat weder einen Anfang noch ein Ende. Das Wasser tritt darin in unterschiedlichen Zuständen auf: Zum Beispiel als Flüssigkeit, als Dampf oder Nebel, als Schnee oder Eis.

Der Unterschied zwischen dem Wasser bzw. Materie einerseits, und uns Menschen andererseits besteht darin, dass wir einen Geist, ein Ich-Bewusstsein besitzen. Es wird im Kreislauf der Wiedergeburten sowohl guten als auch schlechten Exi­stenzweisen ausgesetzt und erlebt diese als Realität. Das „Gut“ oder „Schlecht“ bestimmt sich dabei nach den Taten in früheren Leben.
Das Ich-Bewusstsein kann dabei mit dem elektrischen Strom, der menschliche Körper mit einer Glühbirne verglichen werden. Selbst wenn ihr Glühfaden sehr gut ist, wird er eines Tages erlöschen, bzw. wird unser Körper, mag er auch noch so robust sein, irgendwann sterben. Diesem Gesetz unterliegt alle Materie. Doch ebenso, wie die Elektrizität ihren Fluss in einer anderen, neuen Glühbirne fortsetzt und diese, je nach Stärke des Stroms verschieden hell leuchten lässt, so setzt auch der Strom des Ich-Bewusstseins sich von Leben zu Leben mehr oder weniger kraftvoll fort, und erzeugt entweder eine gute oder eine schlechte Wiedergeburt.

Der Buddha nun lehrte, dass wir Menschen, aber auch alle anderen fühlenden Wesen, die es im Kreislauf des Daseins gibt, eine gute Wiedergeburt erlangen können; sogar ein Buddha zu werden sei möglich. Es hängt allein von den Taten des Einzelnen ab.

Der Buddhismus sieht den Menschen als fühlendes Wesen, das sowohl das Potential zum Guten als auch zum Bösen in sich trägt. Deshalb kann ein Mensch aufgrund seiner guten Taten zum Beispiel entweder zu einer Wiedergeburt in der Jenseitswelt der Heiligen oder umgekehrt zu einer Wiedergeburt als Tier oder als Höllenwesen gelangen.

Der Körper des Menschen durchläuft im Leben vier Phasen:
— ein Entstehen,
— ein Verweilen im Entstandenen,
— ein Vergehen und
— ein Verlöschen, den Tod.

Diesem Gesetz unterliegt, wie die Erfahrung uns lehrt, nicht nur der menschliche Körper, sondern jede Art Daseinsphänomene. Denn alles in der Welt, ob mit oder ohne materielle Form, entsteht, verweilt, vergeht und verlöscht. Doch ist das Verlöschen nicht etwa jenes Ereignis, mit dem die vier Phasen für immer enden, sondern eine Stufe, der ein anderer Zyklus mit diesen vier Phasen folgt. Das im Prinzip gleiche Geschehen läuft ab beim Wechsel von Tag und Nacht: Das Licht des Tages weicht dem Dunkel der Nacht und dieses dem Licht des Tages. So wie jeder Nacht ein neuer Tag folgt, so folgt dem Verlöschen unseres Körpers ein neues, anderes Leben.

In unserem Geist gibt es sowohl das Gute als auch das Böse.

Gewinnt das Gute in uns für immer die Oberhand, so werden wir Heilige. Doch ob unser Geist sich dem Guten oder dem Bö­sen zuwendet, entscheidet allein unser Wille. So haben wir nun die Möglichkeit, das Gute in uns zu entwickeln, um Erleuchtung – Erlösung – zu erlangen und dann nicht mehr im Kreislauf der Wiedergeburten umher zu irren.

Jeder gläubige Buddhist weiss, dass der Tod nicht das Ende bedeutet und hat deshalb vor ihm keine Angst.

Vor gut 2.500 Jahren predigte der Buddha zu den Menschen über das Leiden des Daseins, über die Unreinheit des Geistes und über die Vergänglichkeit aller Phänomene. Einige seiner Schüler begingen darauf hin Selbstmord. Sie empfanden ihr Leben als nutzlos. Der Buddha jedoch erklärte, dass diese Einstellung völlig verkehrt sei und untersagte seinen Schülern, sich selbst zu töten. Unser Körper, obwohl vergänglich, sei eine Kostbarkeit, denn er ermöglicht es uns, die Buddhalehre zu praktizieren und so zur Erleuchtung zu kommen.

Der Mensch trat auf, nachdem es die Erde gab und die Religionen, nachdem es den Menschen gab. Daraus folgt, dass es Religionen gibt, weil es Menschen gibt. Jede Religion dient dem Menschen. Sie gibt ihm Lebensorientierung und führt ihn, wenn er sie ernsthaft praktiziert, auf eine höhere geistige Stufe.

Wie schon erwähnt, gibt es nach buddhisitscher Lehre fühlende Wesen nicht nur in den Existenzformen Mensch oder Tier und auch nicht nur auf unserer Erde. Vielmehr sind jenseits der Welt, die uns von den Sinnen vermittelt wird, andere, transzendente Welten vorhanden. So etwa das westliche Paradies, dessen Herrscher der Buddha Amitabha oder das östliche Paradies, dessen Herrscher der Heilende Buddha ist. Der historische Buddha hat diese Welten mit seinem Weisheitsauge gesehen und gelehrt, dass es davon dreitausend grosse und kleine Welten gibt. Auch war es ihm mit dem Auge der Weisheit möglich, in die Vergangenheit und in die Zukunft zu schauen.

Der gläubige Buddhist kann, wenn er entsprechende geistige Übungen eifrig und zielstrebig macht, zu einer Wiedergeburt z.B. im Westlichen oder im Östlichen Paradies gelangen und dort, bis er volle Erleuchtung verwirklicht hat, ein glückvolles Leben führen. Ob und wann er ein solches Ziele erreicht, hängt ganz von seinem Bemühen ab.

Manche Menschen behaupten, der Buddhismus sei keine Religion, sondern eine Philosophie, eine Morallehre oder einfach ein „way of life“. Diese Ansicht ist falsch. Weshalb? Ein Mensch, der nur das Rad eines Autos sieht, wird sagen, dass das, was er sieht, kein Auto sei. Denn ein Auto besteht aus vielen verschiedenen Teilen, wie etwa aus Fahrgestell, Motor, Rädern, Ka­rosserie, usw. Und jedes davon, nur für sich betrachtet, wird, kann niemals als Auto bezeichnet werden. Somit ist, unter Berücksichtigung aller Aspekte, die Lehre des Buddha ganz sicher eine Religion. Sie wurde vor etwa 2.500 Jahren in Indien von Siddharta Gotama gestiftet. Er war ein außergewöhnlicher Mensch Seine Schüler gaben ihm den Würdentitel „Buddha“, was soviel wie „Erwachter“ oder „Erleuchteter“ heisst.

Der Buddhismus kennt weder einen Schöpfergott noch eine Erlösergestalt, die die Macht hätten, den Geist eines Menschen zu reinigen. Vielmehr hängt der Erfolg im buddhistischen Erlösungsweg allein davon ab, wie sehr sich der Fromme bemüht. Na­mentlich geht es darum, im täglichen Leben Barmherzigkeit und Liebe zu praktizieren.

Viele Menschen, vor allem in Asien, sagen, der buddhistische Weg sei leicht zu gehen, denn im Kern sei jeder ein Buddha. Deshalb reiche es aus, um Erleuchtung zu verwirklichen, einmal im Leben zum Beten in einen Tempel oder ein Kloster zu gehen. Doch so ist es nicht. Selbst wer eine Buddhaverehrungsstätte regelmäßig besucht, die Lehre aber nicht praktiziert, tut besser daran, zu Hause zu bleiben.

Schon in urbuddhistischer Zeit gab es in Indien das hinduistische Kastensystem. Der Buddha lehnte es ab. Er lehrte, es sei ganz unmöglich, dass ein Mensch, der ständig Schlechtes tut, im Kastensystem wiedergeboren würde. Doch könne es wohl sein, dass ein Mensch, der viel Gutes tut, zur Erleuchtung gelange, obwohl er kastenlos ist.

In welcher Beziehung nun steht der Buddhismus zum Menschen? Die Antwort gibt folgende Allegorie: Der Buddha gleicht einem guten Arzt, seine Lehrer einer starken Arznei, wir gewöhnliche Menschen Kranken. Ein Kranker, der Heilung begehrt, bedarf einer wirkungsvollen Arznei. Weist er sie zurück, so liegt der Mangel an Heilung nicht in der Arznei, wohl aber im Kranken selbst begründet. Der Buddha ist demnach der Arzt, seine Lehre das Medikament, das uns auf dem Weg zur Erleuchtung zum Guten voranbringt und zur Erleuchtung führt.

Doch ob wir die Wegweisung ignorieren oder ihr folgen wollen, müssen wir selbst entscheiden.

Ein Mönch darf Menschen, die der Lehre des Buddha nicht glauben, weder bestrafen noch ihnen mit Strafe drohen. Vielmehr soll er die buddhisitschen Praktiken, die unseren Geist von Gier, Hass und Verblendung reinigen, mit liebender Güte lehren. Ob die Menschen sich dann in diesen Praktiken üben, sollen sie selbst, frei von Zwängen, entscheiden.

Dass im Buddhismus die Lehre vom „Karma“ zentrale Bedeutung besitzt, ist wiederholt angeklungen. Ebenso wichtig ist jedoch die Lehre von der „Leerheit“, d.h. von der Unpersönlichkeit und Bedingtheit aller Daseinsphänomene. Der grosse Mönchs­gelehrte Nyanatiloka schreibt: „Ein wahres Verständnis der buddhistischen Karmalehre ist nur dem möglich, der einen tiefen Einblick in die Unpersönlichkeit und Bedingtheit aller Daseinsphänomene getan hat. Einem solchen zeigt sich überall in allen Daseinsformen bloß das durch Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen in Gange befindliche Geistige und Körperliche. Keinen Täter sieht er außerhalb der Taten, keinen die Karmawirkung Erfahrenden außerhalb der Karmawirkung.“

Darum sagen die alten buddhistischen Meister (Visuddhi-Magga XIX):

Nicht findet man der Taten „Täter“,
Kein „Wesen“, das die Wirkung trifft,
Nur leere Dinge zieh’n vorüber:
Wer so erkennt, hat rechten Blick.
Und während so die Tat und Wirkung
Im Gange sind, wurzelbedingt,
Kann, wie beim Samen und beim Baume,
Man kein Anfang je erspäh’n.